„Zur Ästhetik des E-Books kann ich gar nichts schreiben, denn es gibt sie nicht“, bloggte Friedrich Forssman vergangene Woche auf dem Suhrkamp Logbuch und löste mit diesem und weiteren ätzenden Statements eine Flut an Bekenntnissen und Liebeserklärungen ans eBook aus. Forssman ist ein erfahrener und vielleicht sogar begnadeter Buchgestalter und Fachmann für Typografie – allerdings nur in der Welt des Gedruckten. In unserer digitalen Zeit, in der Ästhetik unserer Zeit und in der Technik unserer Zeit kennt er sich nicht aus.
Auf Nachfrage des Buchreports erklärte er, er besäße weder Reader noch Tablet und habe noch nie ein eBook gelesen. Unbekannt sind ihm daher auch die Herausforderungen des Webdesigns: Schriften müssen auf großen und kleinen Bildschirmen gut aussehen, egal, ob man sie von nah oder fern betrachtet. Gleiches gilt für den Satzspiegel, auch Bild und Text sollten sinnvoll und harmonisch zueinander stehen, egal auf welchem Reader, Tablet oder Smartphone man sie betrachtet.
Das Auge liest mit
Als Replik auf Forssman schrieb Culturbooks-Verlegerin Zoë Beck, „Können wir uns mal kurz bitte darauf einigen, dass das Trägermedium rein gar nichts über die Qualität des Inhalts sagt?“ Das stimmt natürlich, zeigt aber auch, dass Webdesign immer noch das Stiefkind der Buchbranche ist. Gute Gestaltung kann jedoch entscheidend sein, ob sich Leser überhaupt für Inhalte interessieren und sich damit auseinandersetzen. Gedruckte Bücher sind allerdings auch nicht automatisch schön. Oliver Reichenstein, CEO der Design-Agentur iA, ist davon überzeugt, dass in absehbarer Zeit die durchschnittliche typografische Qualität von Bildschirmtexten die meisten gedruckten Bücher übertreffen wird. „Eine fürchterliche Leseerfahrung ist das“, schildert er in einem Interview über Responsive Typography seine Begegnung mit einem Suhrkamp Taschenbuch, „ich bin geradezu erschrocken“.
Warum eBooks nicht so schön sind, wie sie sein könnten
Die Agentur Type:Area, die unter anderem die eBooks des Frohmann-Verlags realisiert, erklärte bereits vor über einem Jahr auf ihrem Blog, warum eBooks nicht so schön sind, wie sie sein könnten. 1) eBooks werden von den meistens Verlagen als Nebenprodukte angesehen, die Prozesse sind in der Buchproduktion auf Print ausgelegt und 2) Verlage sind selten bereit, Zeit und Geld in gutes Design von eBooks zu investieren. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Weiterentwicklung von EPUB 3 und HTLM5 ermöglicht mittlerweile jedoch anspruchsvolleres Design und zugleich mehr Interaktivität. Die Gestaltung von eBooks hat dabei mehr mit Webdesign als mit Print-Typografie zu tun. Ein eBook-Designer muss gestalterische Fähigkeiten und zugleich Grundkenntnisse im Programmieren besitzen. Von diesen Menschen gibt es in der Buchbranche nicht allzu viele. Herr Forssman gehört offenbar nicht dazu – und das ist eigentlich verdammt schade.
Am Ende entscheidet der Leser
Jemand, der sich mit der Gestaltung von digitalen Büchern dagegen sehr gut auskennt, ist der Digitalexperte Fabian Kern. In seinem Erfahrungsbericht EPUB-Praxis: Fonts einbinden und verwenden zeigt er auf, welche Möglichkeiten Verlage haben, um Typografie in eBooks aktiv zu gestalten. Zumindest bei der Schriftart haben Verlagsvorgaben jedoch nur Empfehlungscharakter. Am Ende entscheidet der Leser selbst, wie er sein eBook am liebsten lesen möchte. Damit sich auch in Zukunft noch zahlreiche Leser für das Medium Buch entscheiden, sollten nicht zuletzt die Verlage die Entwicklung der eBook-Typografie und die Ausbildung der eigenen Gestalter stärker vorantreiben.
Dieser Artikel ist Teil der Anthologie Ästhetik des E-Books. Beginn einer Debatte (Hg. Kuratorium der Electric Book Fair, Berlin 2014), die hier kostenlos heruntergeladen werden kann.
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