Autorenbesuch: Berlin, als Muße bist du spitze!

P1000125 (3) (640x564)-1Schon als Kind saß Uli Leistenschneider an der Schreibmaschine und tippte Manuskripte für den „LeistenSCHNEIDER-VERLAG“. Heute arbeitet sie als Lektorin beim Kosmos Verlag und schreibt erfolgreich Kinder- und Jugendbücher. Diesen Sommer hat sie drei Wochen in Berlin verbracht, unter anderem, um dort an aktuellen Buchprojekten weiterzuarbeiten. Bei einem unserer Spaziergänge an der Spree hat sie sich zu meiner Freude bereit erklärt, für meinen Blog über ihren Berliner Schreibaufenthalt zu berichten. Also lest selbst, was eine Autorin in Berlin so schreibt macht…

Auf der Suche nach dem Nashorn, oder der Versuch, einen „Werkstattbericht“ zu schreiben – oder ein Loblied auf die Muße …

Im Juni 2013 ist mein Buch „Liebe ist ein Nashorn“ (mit wunderbaren Illustrationen von Isabelle Göntgen) beim Kosmos-Verlag erschienen. Lea, 13 Jahre, ist unsterblich in Jan verliebt. Weil sich nicht immer alles wie ein leichter Schmetterling anfühlt, vergleicht sie ihre Gefühle mit Nashörnern. Und weil Lea viel zu schüchtern ist, Jan ihre Liebe zu gestehen, schreibt sie ihm einen Brief, den längsten Liebesbrief der Welt. Der soll nun weitergehen.

Schreiben kann man fast überall. Glaube ich. Bislang habe ich nämlich nur an sehr wenigen Orten geschrieben. Für den letzten Teil des Sternenschweif-Bands 41 und zum Beginn vom Nashorn-Band 2 habe ich mir Berlin ausgesucht. Ich bin gespannt, ob ich in dieser lebendigen Stadt überhaupt zum Schreiben komme … fest vorgenommen hab ich es mir zumindest.

10.08.
Ich komme an und schnuppere (nicht zum ersten Mal, aber seit langem mal wieder) die berühmte Berliner Luft. Drei Wochen lang darf ich in Wilmersdorf die bunte Altbauwohnung von Boris Pfeiffer hüten – wenn das mal keine Inspirationsquelle ist.

11.08.
Meine Disziplin ist gefragt: Morgens möchte ich schreiben und am Nachmittag gibt’s zur Belohnung ein Stück Berlin. Klappt am ersten Tag ganz gut. Mittags mache ich einen Endlosspaziergang über Kurfürstendamm, Gedächtniskirche, Tiergarten, Siegessäule, Bendlerblock und zurück. Sonnig, aber mein Entschluss steht trotzdem fest: Eine Monatskarte für den Nahbereich muss her. Die Stadt ist zu Fuß unbezwingbar.

12.08.
Wieder ein Stück Sternenschweif geschafft. Wenn es gut weiterläuft, kann ich in wenigen Tagen mit Band 2 von „Liebe ist ein Nashorn“ anfangen. Aber erst mal wird Kreuzberg erforscht und auf der Oranienstraße geshoppt. Abends trinke ich in einer winzigen Bar in Mitte teuren Rotwein mit einer guten Freundin und fühle mich rundum wohl.

14.08.
Im Prinzip war klar, dass nicht alles schön werden würde. Aber mit dem, was dann tatsächlich alles überschattet, habe ich keine Sekunde lang gerechnet. Die Nachricht von Janas Tod schockiert alle in unserer Redaktion und den ganzen Verlag. Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen, Worte hallen verloren im leeren Kopf wider, die Gedanken über den Tod haben keine Sprache. Und doch ist das einzig Richtige, zu reden. Ich verbringe den Tag mit Anna und wir erinnern uns an Jana, wie so viele andere es tun, die Jana lieben und schätzen.

15.08.
Ich schreibe ein todtrauriges Sternenschweif-Kapitel, dass ich mindestens dreimal überarbeiten muss und von dem ich danach immer noch nicht weiß, ob meine Lektorin es mir so durchgehen lassen wird. Anstatt was zu unternehmen, verschanze ich mich vor dem DVD-Player und schaue „Türkisch für Anfänger“, die Staffeln habe ich in Boris‘ Bibliothek gefunden. Spielt ja immerhin in Berlin und lenkt mich ein wenig ab. Ist vielleicht auch eine kleine Einstimmung auf den zweiten Nashorn-Band, der allerdings gerade in weite Ferne gerückt scheint. Wie soll ich etwas Witziges schreiben, wenn ich in einer tieftraurigen Stimmung bin?

17.08.
Ein unterhaltsamer Abend mit Freunden, Bier und Kickern in einer noch kleineren Bar als letztens (von außen nicht als Bar gekennzeichnet und nur per Zufall entdeckt) holt mich zurück ins Leben. Gott sei Dank gibt es in Berlin Menschen! Und zwar so viele und unterschiedliche, dass man nie auffallen wird, egal was ist. In Berlin darf jeder so sein, wie er will.

19.08.
Sternenschweif beendet. Die Bahn ist frei für das zweite Nashorn. Zuvor fahre ich allerdings zu Janas Beerdigung.

20.08.
Ein schrecklicher und doch zugleich traurig schöner Tag. Selten habe ich so viele unbekannte Menschen wie heute umarmt und so viele wortlose Tränen geweint. Und doch: Es tut gut, gemeinsam Abschied zu nehmen. Ich danke den Menschen, mit denen ich diesen wertvollen Tag verbringen konnte.

24.08.
Nach einigen Tagen Pause habe ich es endlich geschafft, den zweiten Nashorn-Band wenigstens anzufangen. Der längste Liebesbrief der Welt geht weiter … und dennoch lockt Berlin mehr als der Schreibtisch. Ich gehe ins Filmmuseum, treffe Freunde, trinke die leckerste Chai Latte meines Lebens irgendwo in einem Prenzlauer Coffee Shop, den ich vermutlich nie wieder finden werde. Bin an der besten Burger-Bude am Zoo, wo der Veggie-Burger mit Antipasti belegt ist, der Service ansonsten zu wünschen übrig lässt. Mache Spaziergänge an der Spree, im Volkspark in Friedrichshain und bin begeistert, dass wirklich durchweg die Sonne scheint. Ein schlechtes Gewissen geistert durch meinen Kopf, weil meine Disziplin nicht mitmacht und mein Schreibaufenthalt zum reinen Urlaub verkommt … zu allem Überfluss möchte Charlotte gern einen Werkstattbericht auf ihrem Blog haben – Hilfe, ich schreibe zu wenig und habe zu viel Spaß! Und wie um das zu unterstreichen, gewinne ich auch noch bei einem kleinen Facebook-Gewinnspiel des Matthes & Seitz Verlags Berlin ein Buch mit dem selbstredenden Titel „Das Recht auf Faulheit“. Ich lasse es mir an die Kosmos-Adresse schicken und hoffe, darin nach meinem Urlaub alle Entschuldigungen dafür zu finden, dass ich mit dem Schreiben voll im Verzug bin.
Immerhin bin ich gedanklich in der Geschichte. Sobald eine Idee kommt, tippe ich sie in mein Handy oder notiere sie (etwas romantischer) in ein kleines Notizbuch.

25.08.
Ein weiterer, wunderbar fauler Tag am Plötzensee mit erstaunlich wenigen Menschen für so einen tollen Spätsommertag. Sehr zu empfehlen, aber an richtig heißen Tagen vermutlich brechend voll.

26.08.
Kurze Unterbrechung meines Berlin-Aufenthalts: Für einen Kosmos-Termin bin ich in Hamburg. Danach verschlägt es mich in das wunderschöne Lauenburg zu einer meiner ältesten und besten Freundinnen. Tolles Kontrast-Programm zum wuseligen Berlin: Eine altertümliche, leergefegte Stadt, ein warmer Sonnenuntergang an der Elbe und über allem wohltuende Ruhe.

27.08.
Meine erste Lesung aus „Liebe ist ein Nashorn“! Ich bin in der siebten Klasse an der Gesamtschule Geesthacht und habe tatsächlich volle Aufmerksamkeit, selbst von den Jungs. Danach löchern mich die Schüler mit Fragen und wollen sogar Autogramme. Fühle mich ein klitzekleines bisschen berühmt … ;-)

31.08.
Ich sitze im Zug zurück nach Stuttgart und höre Amy Macdonald „The Road To Home“. Gestern noch schnell um den See auf dem Waldfriedhof gelaufen und sowohl Ringelnatz als auch Loriot einen kleinen Besuch abgestattet. Das Grab von Loriot ist besetzt mit unzähligen Bade-Entchen und sieht lebendig aus. Das von Ringelnatz ist das eines armen Dichters. Einige Steine und eine Kachel schmücken die schlichte Grabplatte, darauf hat jemand ein weißes Schild gestellt: „Ich habe dich so lieb. Ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken.“ Auch eines meiner Lieblingsgedichte.

Drei abwechslungsreiche Wochen mit Höhen und leider auch Tiefen liegen hinter mir. Wirklich viel habe ich nicht geschrieben. Aber inspiriert bin ich und voller Tatendrang, mit dem zweiten Nashornband richtig loszulegen. Ich freu mich auf meine kleine Stuttgarter Altbauwohnung, ich hätte aber auch noch länger in Berlin ausgehalten. Das nächste Mal muss ich unbedingt wieder in die Alte Nationalgalerie – als ich nämlich den Raum mit Caspar David Friedrich betrete, ertönt just in diesem Moment die Durchsage: „In wenigen Minuten schließen wir, bitte begeben Sie sich zum Ausgang. Besuchen Sie uns gerne wieder“.

Berlin, zum Schreiben hast du dich nur bedingt geeignet, aber als Muße warst du spitze! Ganz klar: Ich komme wieder!

Uli Leistenschneider

 

LIEBE IST EIN NASHORN oder der längste (und peinlichste) Liebesbrief der Welt, 256 Seiten, 12,99 Euro, ist erschienen im Kosmos Verlag, ab 11 Jahre