OpernRasen Bonn - Strandbar vor der Oper

Wie kann Kultur der ideale Experimentierraum für Innovation sein?

Welche Chancen zeigen sich in der Krise für das Zusammenspiel von Kultur und Innovation? Welche Innovationen braucht der Kulturbetrieb? Und welche Rolle spielt Kultur bei der Stadtentwicklung?

Fünf Expert:innen aus dem Kulturbereich geben darauf innovative Antworten. Beim Online-Panel „Kultur & Innovation“ der Kulturpolitischen Gesellschaft Rhein-Neckar am 11.11. diskutierten sie unter anderem die #NeueRelevanz der Kultur. Die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. versteht sich als bundesweiter Think- and Do-Tank für Kulturpolitik.

Haltung als Voraussetzung für Innovation

Martin Zierold, Leiter des Instituts für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, eröffnete die Runde mit einem Vortrag über die #NeueRelevanz der Kultur in Corona-Zeiten. Seine These lautet: Genau wie Vertrauen kann man Wertschätzung nicht einfordern, man muss sie sich auch verdienen.

„Kultur ist zum Beispiel nicht für alle da. Ihre Produktion wird zumindest nicht von allen als derzeit annähernd größtes Problem empfunden. Sie interessiert dringlich nur eine Minderheit, wenn auch eine vergleichsweise lautstarke.“

Tobi Müller, in der ZEIT vom 29. Oktober 2020

Laut Martin Zierold ist Innovation immer eine Interpretation und Bewertung von etwas durch jemanden. In unsicheren Zeiten ist Haltung die Grundlage für Handlungsfähigkeit. Wirksame Haltung ist dabei eine Frage der Stimmigkeit. Eine glaubwürdige Haltung beruht auf einem stimmigen Handeln im Hinblick auf gesellschaftliche Herausforderungen. Haltung und Stimmigkeit, so lautet seine Schlussfolgerung, sind Voraussetzung für wirksame Innovation in Zeiten von Unsicherheit.

Screenshot Vortrag von Prof. Dr. Martin Zierold
Screenshot Vortrag von Prof. Dr. Martin Zierold

Visionieren ist wichtiger als verwalten

Es muss toll sein, in Bonn Kultur zu machen! Dieser Gedanke kommt einem unweigerlich, wenn man Birgit Schneider-Bönninger, Kultur- und Sportdezernentin der Bundesstadt Bonn, zuhört. Mit ihrer Forderung „Visionieren ist wichtiger als verwalten“ bringt sie Gründerstimmung in die Verwaltung. Ihre Schlagworte sind „Echte Partizipation“, „Ideen zählen“, „Ressortübergreifende und hierarchiefreie Zusammenarbeit“ und „Synergie als Schlüssel“. Sie plädiert dafür, „Verwaltung als Versuchsanordnung zu sehen„, Systembrüche zu wagen (mit welchen Querdenkern besetzt man freie Positionen?) und so viele Möglichkeitsräume zu schaffen wie möglich (Zwischennutzung, „Beginner-Klima“). Durch Corona befinden wir uns alle in einem Experiment und erfinden uns gemeinsam neu, resümiert sie.

In Bonn erfindet Birgit Schneider-Bönninger neue Formate, indem sie Sport und Kultur zusammenbringt. Eine Grünfläche verwandelte sich so im Sommer 2020 in einen “Opern-Rasen“. Vier Monate lang fanden dort Sportangebote umsonst und draußen statt, abwechselnd mit Konzerten und Auftritten von Straßenmusiker:innen. Es entstand ein neuer Wohlfühl- und Lieblingsort für alle Bonner:innen. So ein Format stärkt das „Wir“-Gefühl in der Stadtgesellschaft, ist sich die Kultur- und Sportdezernentin sicher. Die unterschiedlichen Zielgruppen wurden gemischt und das gegenseitige Verständnis ist gewachsen.

Als Direktorin des Stuttgarter Kulturamtes hatte sie bereits das preisgekrönte „Zukunftslabor Kultur“ gestartet, das ein Erfolgsmodell für andere Städte geworden ist, die ihre digitalen Zukünfte partizipativ und kreativ gestalten wollen. Für Birgit Schneider-Bönninger ist ein „Labor“ der perfekte Ort, um Neues zu erfinden und querzudenken. Sie betont auch, wie wichtig es ist, die Menschen zu fragen, was sie sich wünschen und was ihnen fehlt. Und dass es wichtig sei, Kulturakteure auf Augenhöhe miteinzubeziehen.

Sport im Park - OpernRasen Bonn
Alternatives Sport im Park-Angebot auf dem Opernrasen u.a. von der Universität Bonn Foto: ©colourbox.com/Uni Bonn

Kultureinrichtungen sollten sich fragen, wie sie sich als Ressource ihrer Stadt verstehen können

Inka Neubert, Künstlerische Leitung und Geschäftsführung des Theaterhaus G7 in Mannheim, sucht neue Formen, wie Theater unter Corona stattfinden kann. „Nur abfilmen“ ist in ihren Augen eine unbefriedigende Lösung. Doch um hier neue Ansätze zu entwickeln, bräuchten sie Menschen, die sie im Digitalen unterstützen. Henning Mohr, Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. in Bonn, beobachtet, dass Kollaboration immer wichtiger wird.

Für Birgit Schneider-Bönninger ist es entscheidend, dass die Institutionen auch in die Stadtteile gehen und Teilhabeformate anbieten. Ziel ihrer Arbeit war es immer, Menschen zusammenzubringen, sei es bei Kulturstammtischen oder Kulturbarcamps. Auch bei Sponsoren sollte man die Lust auf Kultur wecken, auch diese bräuchten permanente Ansprache. Kultureinrichtungen sollten sich fragen, wie sie sich als Ressource ihrer Stadt verstehen können und Angebote über „die eigene Bühne“ hinaus planen. Sie sollten in den Dialog gehen und die Bewohner forschend fragen: Was könnt ihr gebrauchen?

Archiv des Misserfolgs

Das „Archiv des Misserfolgs“ ist eine interaktive Geschichtensammlung und Ausstellung im Theaterhaus G7.

Statt „Antragslyrik“ Möglichkeit zum „Scheitern“ geben

Alle Diskussionsteilnehmer:innen sind sich einig, dass Kunst und Kultur der perfekte Raum sind, um Utopien zu entwerfen. Moderator Matthias Rauch, Sprecher der Regionalgruppe Rhein-Neckar der Kulturpolitischen Gesellschaft und Leiter der Kulturellen Stadtentwicklung, NEXT Mannheim, macht jedoch darauf aufmerksam, dass die aktuellen Förderlogiken der Kulturpolitik ein Scheitern per se ausschließen. Damit sei das Ergebnis im Förderantrag bereits festgeschrieben.

Was wir bräuchten, wären jedoch offene Prozesse, erkennt Henning Mohr. Denn zu einem Experiment gehört, dass man damit scheitern kann und muss. „Das ganze System der Kulturförderung müsste man transformieren“, fordert Birgit Schneider-Bönninger. Inka Neubert stimmt zu: Man lerne eine regelrechte „Antragslyrik“. Das Thema Scheitern hat sie in dem künstlerischen Projekt „Archiv des Misserfolgs“ verarbeitet, denn es ist ihr wichtig, „dass man dem Scheitern Räume gibt“.

Martin Zierold hat auch schon einen Vorschlag, wie man die Förderkriterien verbessern könnte. Es müsste ein Kriterium geben, dass danach fragt, was wir gelernt haben. Die anderen Diskussionsteilnehmer:innen ergänzen, dass im Kulturbetrieb eine Kultur der Weiterbildung fehle. Insbesondere die Leitung großer und kleiner Institutionen, so Cora Malik, Geschäftsführerin des Kulturhauses Karlstorbahnhof in Heidelberg, sei oft wahnsinnig Status quo bezogen. Damit fehlt auch häufig die Ausrichtung der Kulturinstitutionen auf die Gesellschaft. Durch Berufung auf die künstlerische Freiheit entstünden mitunter viel zu „homogene Bubbles“.

Screenshot Kultur & Innovation
Screenshot des Webpanels „Kultur & Innovation“

5 Tipps, wie Innovation durch Kultur gelingen kann

Am Ende zieht jeder der Diskussionsteilnehmer sein persönliches Fazit, welche Voraussetzungen wir brauchen, damit Kultur ein idealer Experimentierraum für Innovation werden kann:

  1. Institutionen öffnen, mehr in Kollaborationen denken und durch Kulturpolitik entsprechende Anreize schaffen. (Henning Mohr)
  2. Mut aufbringen; keine Berührungsängste haben; alle Akteure, die sich der Stadt bewegen mitdenken; Kunst soll Stadtgespräch werden, alle sollen sich davon berührt und getroffen fühlen; rebellisch sein auf Verwaltungsseite. (Birgit Schneider-Bönninger)
  3. Die Dinge selbst vorantreiben und auf andere zugehen. (Cora Malik)
  4. Offenheit, Transparenz und ein vertrauensvolles Verhältnis sind wichtig; auch Streit ist erlaubt. (Inka Neubert)
  5. Lernen von dem, was es gibt. Nicht einfach kopieren, sondern lokal und kontextabhängig eigene Formate entwickeln. (Martin Zierold)

Fazit

Die Erfahrungen und Erkenntnisse der Kultur-Expert:innen sind für mich enorm wichtig. Denn sie stützen meine Ideen und die Konzeption meiner eigenen Kulturprojekte, wie das Lesefests in Preetz. Es ist wunderbar zu erfahren, dass es anderswo erfolgreiche partizipative Kulturprojekte gibt, die in die Stadt hineinwirken. Und sehr ermutigend, dass Verwaltung anders sein kann als man sie bisher kennt und dass dieses Beispiel Schule machen könnte.

Der Schlusssatz von Martin Zierold trifft mich ganz besonders. Denn einen Tag zuvor hatte ich mit dem Leiter des Freiburger Literaturfestivals telefoniert. Ich hatte Mario Willersinn vom Kulturamt Freiburg angerufen, der das Lirum Larum Lesefest koordiniert. Mich begeisterte sein partizipativer Ansatz, Kinder in die Programmgestaltung mit einzubeziehen. Ich wollte wissen, welche Erfahrungen er damit gemacht hat. Es wurde ein langes tolles Telefonat, aus dem ich sehr viele Ideen mitgenommen habe, von denen ich einige nun im ländlichen Raum ausprobieren möchte. In Erinnerung geblieben ist mir der Satz des Freiburgers „Man darf auch scheitern“, den ich nach diesem Panel besser einordnen kann. Der Förderantrag für das Lesefest ist übrigens längst abgegeben. Wie gut, dass mir diese Veranstaltung Mut gemacht hat, neue Wege zu gehen, damit das Fest weiter an Relevanz gewinnen kann.

Die Diskussion wurde aufgezeichnet. Das Video steht hier zum Nachschauen zur Verfügung.

Beitragsfoto: Projekt OpernRasen, Strandbar vor der Bonner Oper. ©Giacomo Zucca/Bundesstadt Bonn