Annette Siegel lektoriert „ESPRIT MONTMARTRE. Die Bohème in Paris um 1900“

Lektoren kennen ihre Bücher wie sonst kein anderer. Sie prüfen Text, Plot, Konzept auf Herz und Nieren. Sie wissen, wem das Buch gefallen könnte, was seine Stärken und Schwächen sind. Zugleich entsteht auf ihren Schreibtischen „die nächste Literatur“ (wenn auch etwas anders als Stephan Porombka es beschreibt). Das ist aufregend, denn Lektoren sind dem Buchmarkt, den Lesern und Rezensenten immer einen Schritt voraus. Schade, dass dieses Insiderwissen oft ungeteilt und die Lektoren meist unbekannt bleiben. Eine Ausnahme ist Ulrike Ritter, die auf „Ich mach was mit Büchern“ jedoch eher allgemein aus dem Lektorat berichtet. Die hiermit eröffnete Interview-Reihe „Die nächste Literatur“ möchte Lektoren daher mit einem aktuellen Projekt in den Blickpunkt rücken. Den Anfang macht die promovierte Kunsthistorikerin Annette Siegel. Aktuell lektoriert sie den Katalog „ESPRIT MONTMARTRE. Die Bohème in Paris um 1900„, der im Februar 2014 zur gleichnamigen Ausstellung in der Frankfurter Schirn erscheinen wird.

Wie bist du Lektorin geworden und wie sieht Dein Alltag heute aus?

Ich bin ursprünglich Kunsthistorikerin, bin aber bereits während des Studiums in Mainz über mein Nebenfach Buchwissenschaft und ein Verlagspraktikum mit dem Bereich Lektorat in Berührung gekommen. Später habe ich im Rahmen meiner Arbeit im Museum und während meiner Promotion mehrfach Ausstellungskataloge lektoriert. Nach weiteren freiberuflichen Projekten in diesem Umfeld habe ich dann beschlossen, das Lektorat zu meinem Hauptberuf und mich als freie Lektorin selbstständig zu machen.
Heute bearbeite ich weiterhin vorwiegend Ausstellungskataloge und andere Texte (Didaktik, Presse) aus dem Ausstellungsbereich, aber auch unabhängige Publikationen zu verschiedenen Themen der Kunst. Besonders gefällt mir die inhaltliche Vielfalt der Projekte. Meinen Arbeitsalltag verbringe ich hauptsächlich an meinem Schreibtisch, aber zum Teil auch in Bibliotheken und sehr oft im regen Austausch mit Autoren, Übersetzern, Grafikern und den Projektleitern in Museen und Verlagen.

In welchem Projekt steckst Du gerade?

Gerade arbeite ich an einem Katalog mit dem Titel „ESPRIT MONTMARTRE. Die Bohème in Paris um 1900“, der zu einer Ausstellung in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt im nächsten Frühjahr erscheinen wird.

Was ist das Schönste – und was vielleicht das Kniffligste an dieser Arbeit?

Besonders schön ist für mich das Thema der Publikation, das meinen eigenen inhaltlichen Interessen sehr entgegen kommt. Mit der Epoche der Kunst um 1900 habe ich mich sowohl in meinem Studium als auch während meiner Tätigkeit auf der Mathildenhöhe in Darmstadt und im Rahmen meiner Promotion über Oskar Kokoschka immer wieder beschäftigt. Zu Frankreich habe ich auch einen persönlichen Bezug, ich liebe die Sprache sehr und habe mehrere Jahre dort gelebt, auch in Paris. Zudem ist es für mich als Kunsthistorikerin sehr reizvoll zu sehen, wie bei einer solchen Publikation Bilder und Texte zusammenkommen und sich ergänzen. Eine Herausforderung ist bei diesem Projekt die Vielfalt der verschiedenen Textelemente (Essays, Biografien, Bildunterschriften, Liste der ausgestellten Werke), die aus unterschiedlichen Sprachen, von unterschiedlichen Autoren und Übersetzern zusammengetragen worden sind und am Ende ein schlüssiges Ganzes ergeben müssen.

Warum ist dieses Buch etwas Besonderes?

Die Publikation behandelt ein Thema, das zwar allgemein nicht unbekannt ist, aber dessen Wahrnehmung von vielen Klischees begleitet wird. Hier wird versucht, neue Seiten von diesem “Paris um 1900” zu zeigen, die in der Öffentlichkeit weniger bekannt sind. Vielfältige Aspekte des Lebens der Künstler am Montmartre werden in den unterschiedlichen Essays und Bildstrecken beleuchtet und zudem erlaubt eine historische Karte, für die extra die wichtigen Adressen – Künstlerateliers, Cabarets, Cafés, Theater, Zeitschriftenredaktionen usw. – recherchiert worden sind, die Orte nachzuvollziehen, an denen sich dieses Leben abgespielt hat.

Welchem Leser könnte das Buch gefallen?

Das Buch bietet für Kunstinteressierte, die sich mit dieser Epoche bereits befasst haben, neue Aspekte des kulturellen Lebens am Montmartre. Man findet die Namen berühmter Künstler wie Picasso oder Toulouse-Lautrec genauso wie die ihrer weniger bekannten Zeitgenossen. Liebhabern des Pariser Art Nouveau aber auch Lesern, denen diese Epoche weniger geläufig ist, bietet der Katalog mit seinen vielfältigen Illustrationen, Kurzbiografien zu den einzelnen Künstlern und der erwähnten Karte einen wunderbar anschaulichen Zugang zu diesem lebendigen Kapitel der europäischen Kunstgeschichte.

 

Mehr über die Lektorin:

www.annettesiegel.de

Mehr über das Buch: 

ESPRIT MONTMARTRE. Die Bohème in Paris um 1900 erscheint im Februar 2014 im Hirmer Verlag mit ca. 320 Seiten und ca. 290 Farbabbildungen für ca. 49,90 €.